Was das Handwerk attraktiv macht

Handwerk hat mehr zu bieten als klotzen und kleckern. Das machten junge Meisterinnen und Meister und eine frisch gebackene Friseur-Gesellin beim Online-Talk „Eine Stunde Handwerk“ deutlich. 

Normalerweise schrubbt Landrat Thomas Will auf seinem Fahrrad fleißig Kilometer – als Freizeitausgleich zum turbulenten Job. Für „Eine Stunde Handwerk“, eine Informationsveranstaltung von Kreishandwerkerschaft und Kreis Groß-Gerau, brachte Thomas Will sein Fahrrad mit in den Sitzungssaal. Es gebe zu wenig junge Menschen, die sich dem Zukunftsberuf Zweiradmechaniker widmen, sagte er und brachte damit die Misere auf den Punkt, die fast alle Handwerksberufe betrifft: Es fehlt an Nachwuchs. 

Dabei hat die duale Ausbildung – so nennt man die Kombination aus Berufsschule und Lehre im Betrieb – viel zu bieten, für manch einen sogar mehr als das Büffeln auf der Schulbank. „Ich hatte keine Lust mehr auf Schule“, begründet Moritz Schumacher seinen Schritt ins Handwerk. Seit 2019 – damals war er 22 – ist Schreinermeister Schumacher sein eigener Herr, Inhaber und Geschäftsführer der Schreinerei Bellut. Diese Entscheidung habe er nie bereut, betont er. Als wichtig empfand er auf seinem Weg die professionelle Beratung, wie sie auch die Kreishandwerkerschaft Groß-Gerau bietet.

Für die Bischofsheimer Meisterin und Restauratorin im Maler- und Lackiererhandwerk Susanne Haus, die Präsidentin der Handwerkskammer Frankfurt Rhein-Main, ist Handwerk nicht weniger wert als eine akademische Ausbildung. „Ein Studium ist für mich keine höhere Ausbildung, sondern eine andere Form der Expertise.“ Diese Erfahrung machte auch Maßschneiderin Korinna Bennecker, die in Frankfurt ein eigenes Atelier betreibt. Nach zwei Semestern an der Uni war klar, dass sie einen anderen Weg einschlagen würde. Inzwischen erfüllt sie mit ihrer maßgeschneiderten Kleidung ganz individuelle Kundenwünsche. 

Den direkten Kontakt mit den Kunden und das Feedback für ihre Arbeit hoben alle Teilnehmer der Talk-Runde hervor. Kreishandwerksmeister Dipl. Phys. Ulrich Tögel berichtete von einem Kunden, der quasi im Vorbeigehen am Straßenrand Lob für die vor Jahren geleistete Arbeit aussprach. Das schätzt auch Schreinermeister Moritz Schumacher an seinem Beruf. Wenn Kunden anrufen, um sich zu bedanken, sei das ein tolles Gefühl. „Solche Rückmeldungen gebe ich sofort an meine Mitarbeiter weiter.“ Dafür lohnt es sich, gelegentlich schmutzige Finger zu kriegen. „Dafür gibt es ja Wasser und Seife“, sagt Malerin und Lackiererin Jessica Jörges, die nach ihrer dortigen Lehre in den elterlichen Maler- und Lackiererbetrieb einstieg. Die Leiter einzutauschen gegen einen Bürostuhl kommt für sie nicht in Frage. 

Eine Leiter war das zweite Utensil, das Landrat Will im Gepäck hatte. Sie sollte als Zeichen für die Aufstiegsmöglichkeiten stehen, die Handwerksberufe bieten. „Der Meisterbrief ist gleichgestellt mit einem Bachelorabschluss“, erklärte Thomas. Es gebe zahlreiche Karrierechancen. „Handwerk ist keine Einbahnstraße.“ Umso wichtiger, dass insbesondere weiterführende Schulen ihre Schüler bei Berufsberatungen auch auf handwerkliche Berufe aufmerksam machen. Das Unternehmen Würth möchte dabei mit einem Wettbewerb eine Initialzündung geben und unterstützt Schülerinnen und Schüler dabei, Schulgelände aufzuwerten. Mit im Boot sind örtliche Handwerksbetriebe. 

Mehr dazu: https://www.handwerkswettbewerb.de/de/handwerk/wettbewerb/wettbewerb.php

An ihrer Schule sei Handwerk kein Thema gewesen, berichtet Marie Kuhne, die gerade erst als Friseurin ihre Ausbildung abgeschlossen hat. Statt zwei Jahre, auf die sie als Abiturientin verkürzen konnte, hatte sie effektiv wegen der Lockdownphasen in der Corona-Pandemie nur 15 Monate Zeit, um im Salon der Mutter den Beruf zu erlernen. Manche Kunden kennt die Gesellin nur mit Maske. Trotzdem: Kundenwünsche zu erfüllen, sie zum Beispiel fein herzurichten für eine Feier, das ist der Reiz, den der Beruf ausmacht – was ihre Handwerkskolleginnen und -kollegen bestätigen. Die Erfolgserlebnisse seien der Antrieb, und natürlich die vielfältigen Möglichkeiten, sich als Handwerker selbst zu verwirklichen, betonte Kreishandwerksmeister Tögel. 

Den Mitschnitt der Talkrunde „Eine Stunde Handwerk“ finden Sie auf der Website der Kreishandwerkerschaft: https://www.kh-gg.de/service/eine-stunde-handwerk/eine-stunde-handwerk-08072021-thema-duale-ausbildung